„Fass mich nicht an“ schreit sie und ihre Augen öffnen sich weit.
Wieder einmal ein Traum, ein Traum den sie nicht träumen wollte.
Sie sitzt senkrecht im Bett, während jede einzelne Szene des Traumes in ihrem Kopf erneut geschieht. Sie weint. Neben ihr liegt ihr Geliebter, einer von vielen.
Eine Beziehung kann sie nicht aufbauen, Grund dafür sind einzig die Träume und ihre Vergangenheit.
Sie schaut ihn an und zum Ersten Mal wird ihr Blick erwidert. Es verunsichert sie, denn nun fühlt sie sich ertappt. Ihre Träume sind nicht schön, es sind Alpträume, in denen sie schlimme Dinge tut und deswegen empfindet sie eine gewisse Scham, als er sie anschaut.
„Schlecht geträumt?“ fragt er sie und schaut mit einem leicht verwirrten, jedoch auch verständnisvollem Blick
„Mhm..“ erwidert sie, dreht ihr Gesicht weg und wischt sich heimlich eine Träne fort.
„Es war nur ein Alptraum, keine Angst, ich bin ja da“ tröstet er sie, nachdem er sie in seine Arme schloss.
Sie will nicht in den Arm genommen werden. Sie braucht kein Mitleid und auch keine beruhigenden Worte, denn sie kam auch früher ohne ihn klar.
„…danke.“ flüstert sie und legt sich in seine Arme. Nie hätte sie es zugeben wollen, doch in Wahrheit war es gerade das, was sie immer brauchte.
‚Jetzt hält er mich bestimmt für ein 0815 Mädchen, das ständig rumheult‘ dachte sie, aber ihre Gedanken werden unterbrochen als er die Augen schließt und sie fragt: „Was hast du geträumt?“
Gerade hatte sie es vergessen, gerade hatte sie all diese schlimmen Dinge vergessen die in ihrer Vergangenheit passierten und sie in ihren Träumen einholten. „Ich weiß es nicht mehr“ log sie.
Sie wollte ihn nicht anlügen, aber sie wollte auch nicht darüber reden, denn jedes Wort, jede Szene die sie mündlich wiedergab, spiegelte sich in ihrem Kopf erneut als Schauspiel wider.
„Mhm…“ er akzeptierte es, doch besser wäre es gewesen, wenn sie es ihm anvertraut hätte.
‚Ich bin ein sehr schlechter Mensch‚ denkt sie sich erneut und muss an die Dinge denken, aber mittlerweile sind einige Minuten vergangen und sie erinnert sich kaum noch an das, was im Traum passierte.
„Ich liebe dich“ gab er leise von sich und drückte sie an sich. Es war eine Lüge. Es war immer eine Lüge. Sie wusste es. ‚Existiert Liebe? Was ist Liebe? Worin unterscheidet sich Liebe und Abhängigkeit? Liebe, ist eine Droge, die irgendwann zu Ende geht, oder?‚ fragte sie sich. „Ich liebe dich auch“ log sie. Ein Jahr ist es her. Für sie war es keine Beziehung, für sie war es auch keine Liebe, für sie war es alles ein großes Nichts.
Was sie nicht wusste, es war eine Beziehung die sie führte, es war auch Liebe die sie empfand und ein weiterer wichtiger Punkt, es war die beste Droge, die sie je hatte.
Warum zweifelt sie?
Weil sie Angst hat.
Am nächsten Tag, küsst er sie und verabschiedet sich. Wann sie sich wieder sehen ist unklar. Er sagt nicht, dass er sie liebt, er schreibt ihr auch nicht den Tag über und sie zweifelt.
Sie zweifelt oft, sie liebt die Zweifel.
Zweifel führen irgendwann zu Entscheidungen, leider sind es oft die falschen.
Zahlreiche SMS, Mails und Nachrichten auf Facebook formuliert sie, schreibt sie aus – keine davon schickt sie ab.
‚Irgendwann geht er, wie alle.‘ denkt sie sich, während sie ihre Gefühle aus dem Speicher des Handys, mit der ‚DELETE‘-Taste vom Email-Fach und von der Statusleiste in Facebook löscht.
Eigentlich wollte sie ihm schreiben, wie glücklich sie mit ihm ist, wie viel sie empfindet und dass er zurück kommen solle, doch die Blöße wollte sie sich nicht geben.
Sie errötet bei dem Gedanken, es fast geschrieben zu haben.
Der Computer ist aus, sowie der Fernseher und das Radio, einzig ihre Kopfhörer trägt sie samt aufgedrehter Musik. Sie ist melancholisch gestimmt, deprimiert und dies spiegelt sich in ihrer Musik wider. Dauerschleife von traurigen Songs wie ‚White Apple Tree – Snowflake‘.
100 Mal gehört, ist es gar kein trauriger Song – sie denkt nach.
Sie weint und ist wütend, auf sich und auf die Welt die sie so feige haben werden lassen.
Am liebsten würde sie das Handy gegen die Wand werfen, damit sie eine Entschuldigung hat, warum sie keine SMS von ihm erhält und warum sie ihm auch keine schreiben konnte, stattdessen klickt sie sich durch die Optionen und öffnet das Textfeld.
Sie tippt.
„Ich liebe dich vielleicht….“ – Gesendet.
Sie wirft das Handy weg und will gar keine Antwort, im Gegenteil, denn nun fängt sie an sich zu schämen.
‚Wie konnte ich so einen Schwachsinn schreiben? Ich und Liebe?‚ Sie weint erneut.
Als ihr Handy kurz klingelt, beachtet sie es für einen Moment nicht.
Dann jedoch liest sie: „Vielleicht ist so ein feiges Wort…“
Wie sie ihn dafür hasste, dass er sie so schnell wieder zum Schmunzeln brachte.
Er hatte Recht, ‚vielleicht‘ war ein feiges Wort, deswegen schrieb sie eine weitere SMS.
„Ich liebe Dich..“